18. – 20. Mai 1993. Zwei Tage und zwei Nächte in Sarajevo
Das ist wirklich mein Foto!
Das UNO Pass wurde mir in Wien erstellt.
Ursprünglich war geplant das gesamte Projekt in der Bosnischen Botschaft in Zagreb zu machen. Es war Mai 1993 und Zagreb war ein sicheres Ort. Hingegen war der Krieg in Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina, voll entbrannt. Sarajevo wurde seit April 1992 belagert. Sie können über die Belagerungsgeschichte von Sarajevo hier nachlesen.
Der Flughafen in Sarajevo war in UNO Händen, die Stadt wurde ständig von den umliegenden Bergen aus beschossen.
Es zeigte sich, dass nach internationalem Recht die UNO keine Menschen aus Sarajevo nach Zagreb bringen durfte. Ein UNO Mitarbeiter fragte mich ob ich bereit wäre nach Sarajevo zu fliegen um dort die notwendige Schulung durchzuführen.
Das war keine einfache Entscheidung. Ich konnte leicht auf den Auftrag verzichten – kein Geldbetrag ist es wert, dass man sein Leben aufs Spiel setzt. Anderseits – die Menschen in Bosnien brauchten ohne Zweifel Hilfe, und durch meine Ablehnung würden sie die Hilfe später oder gar nicht bekommen. Ich habe mich doch für den Flug nach Sarajevo entschlossen.
Ich habe einen UNO Pass als Konsultant bekommen. In Zagreb wurde für mich zusätzlich eine UNHCR Identifikation Card mit Foto erstellt.
Ich wurde am 18.5.1993 um 13 Uhr von Zagreb mit einem russischen Militärflugzeug nach Sarajevo geflogen – wegen der Abschussgefahr flogen wir weit über die Adria. Am Flughafen angekommen (ohne kugelsichere Weste) musste ich mein Equipment (zwei Drucker und Notebooks) schnell über den Landeplatz in Sicherheit bringen.
Am Flughafen von Sarajevo habe ich die ersten Schüsse gehört – das war eine ständige akustische Begleitung während meines Aufenthalts in der belagerten Stadt.
Man erwartete mich – zwei Mitarbeiter der lokalen Organisation für Humanitäre Hilfe holten mich vom Flughafen mit PKW ab. Eine schnelle Slalomfahrt über die Zufahrtsstraße folgte. Die Straße glich einer Mondlandschaft – die Zeugen alter Explosionen.
Um 17 Uhr brachte man mich zum PTT Building (PTT-Gebäude – Post Telephone Telegraph) – einem mehrstöckigen teilweise zerstörten Haus, das von den UNO-Soldaten besetzt war. Bis jetzt hatte ich kein einziges Fenster mit intakten Scheiben gesehen. Ein eindrucksvolles Bild. Überall lagen Sandsäcke als Schutz vor Scharfschützen. Auch in dem Zimmer, wo ich ein Bett zu Übernachten bekommen hatte, war am Fensterbrett ebenfalls so ein Sandsack zum Schutz.
Die Atmosphäre war zwar gespannt, aber ohne Nervosität. Im Gebäude waren viele UNO-Soldaten untergebracht, und ziemlich selten auch eine Zivilperson wie ich. Essen gab es in der Kantine. Wasser zum Waschen gab es nicht. Ein Soldat hat mir eine kugelsichere Weste besorgt. Sie war zwar voll mit Bauschutt und Staub, aber immerhin! Ich habe sie zwei Tage später am Flughafen zurückgegeben.
Die Notaggregate haben zum Glück Strom geliefert. Ich hatte die beiden Notebooks und Drucker ein paar Stunden vor dem Abflug in Zagreb bekommen. Jetzt hatte ich endlich Gelegenheit sie zu testen. Eines der Notebooks wollte nicht gleich starten. Ich habe bis zwei Uhr in der Nacht mit Erfolg gearbeitet. Dann konnte ich endlich schlafen gehen.
Frühmorgens am nächsten Tag haben mich dieselben zwei Mitarbeiter abgeholt und ins Büro für Humanitäre Hilfe gebracht. Beim Ein- und Aussteigen vom Auto muss man schnell über die Straße. Es gab Plätze wo man sicher von Heckenschützen war. Diese Orte haben die Bewohner Sarajevos zwangsläufig gekannt.
Die Organisation für Humanitäre Hilfe (AHA) leitete ein Serbischer Universitätsprofessor, Herr Dr. Sascha Mirkovic. Ich demonstrierte die Notebooks und Drucker. Wir diskutierten mit Herrn Dr. Ajiz Schunje über die technische Organisation einer Kommunikation zwischen Zagreb und Sarajevo und zwischen Zagreb und anderen logistischen Zentren in Kroatien. Ich baute eine Kommunikation zwischen der AHA und dem Kommunikationsministerium in Sarajevo auf und erstellte eine Session für Schulungszwecke.
Die zweite Nacht in Sarajevo habe ich in der Privatwohnung von Herrn Dr. Mirkovic verbracht, wo ich seine nette Familie kennengelernt habe. Wir haben lange über das Leben in einem Krieg und besonders in der belagerte Stadt diskutiert. Ich habe einen jungen Mann gefragt, ob es auch Scharfschützen gäbe, die von den Hochhäusern schießen würden. Seine Antwort hat mich schockiert: „Ja, am Anfang gab es solche Fälle, aber unsere Burschen haben schnell damit Schluss gemacht – sie zwangen ein paar Mal den jeweiligen Schützen vom Dach zu springen…“
Für den 20.5.1993 war mein Rückflug geplant. In AHA Büro haben mich etwa zwanzig Frauen mit Tränen in den Augen gebeten, ihre Briefe in Zagreb auf der Post aufzugeben. Diese Szene, obwohl wenig spektakulär, hat mich sehr beeindruckt.
Zum Flughafen gelangte ich auf die gleicher Weise – mit einem PKW und einer Fahrt wie beim Formel 1 Rennen – nur mit Hindernissen. Der Rück(rund)flug über die Adria war wieder mit einem russischen Militärflugzeug – man gewöhnt sich daran.
Sofort nach meiner Ankunft in Zagreb habe ich das Postamt aufgesucht, wo ich alle Briefe verschickt habe.
Sarajevo war noch weitere zweieinhalb Jahre belagert…