Breslau / Polen 13.3.2022
Dieser Beitrag wurde von einem Artikel auf dem Portal apolut.net inspiriert.
Viele von uns fragen sich, warum ein Diktator wie Putin bei den Wahlen 70 % der Wählerunterstützung erreichen konnte? Einige erklären dies mit Wahlfälschungen. Vielleicht wäre es in einem Land, das Demokratie nie gekannt hat, nicht so schwierig. Zum Vergleich lohnt sich die Betrachtung der „vorbildlich fairen“, der letzten US-Präsidentschaftswahl 2020. Ich weiß allerdings nicht, ob der Wahlbetrug notwendig war. Es gibt andere Argumente, die erklären, warum der durchschnittliche Russe bereitwillig und sogar in Zukunft für ihn stimmen wird.
Über die Situation in Russland während der Herrschaft Jelzins ist wenig bekannt. Daher werde ich versuchen, diese Lücke zumindest zu einem kleinen Teil zu schließen.
Nie haben so viele Menschen in so kurzer Zeit ohne größere Hungersnöte, Seuchen oder Kriege ihr Leben verloren. Bis 1998 waren über 80 Prozent der russischen Bauernhöfe bankrott, und rund 70.000 staatliche Fabriken waren geschlossen, was zu einer Epidemie der Arbeitslosigkeit führte. Im Jahr 1989, vor der Schocktherapie, lebten in der russischen Föderation zwei Millionen Menschen in Armut … Als die Schocktherapeuten Mitte der neunziger Jahre ihre ‘bitteren Pillen’ verabreicht hatten, lebten der Weltbank zufolge 74 Millionen Russen unter der Armutsgrenze, das heißt, dass die russischen ‘Wirtschaftsreformen’ für die Verarmung von 72 Millionen Menschen in bloß acht Jahren verantwortlich waren. …
Damals kam es vor, dass Wohnungseigentümer in Moskau, St. Petersburg oder in anderen großen Städten Russlands wurden von Leuten aus der Mafia besucht. Dieser Eigentümer hatte 30 Sekunden Zeit, um den Eigentumsverzicht zu unterzeichnen. Ansonsten haben sie nach einem Schuss ins Knie oder in die Wade diese „Verträge“ trotzdem unterschrieben. Wenn sie sich eine Behandlung noch leisten könnten, könnten sie nach der Reha natürlich Anzeige bei der Polizei erstatten. Nur dass viele Polizisten von der Mafia bezahlt wurden und am Ende einen solchen „Abenteurer“ verhafteten.
Während des Kalten Krieges wurde der in der UdSSR weitverbreitete Alkoholmissbrauch im Westen als Beweis dafür gesehen, dass das Leben unter dem Kommunismus so trostlos war, dass die Russen große Mengen Wodka brauchten, um den Tag zu überstehen. Unter dem Kapitalismus jedoch trinken die Russen mehr als doppelt so viel Alkohol wie früher – und sie greifen auch zu härteren Betäubungsmitteln. Die Zahl der Abhängigen sei zwischen 1994 und 2004 um 900 Prozent auf über vier Millionen angestiegen, von denen viele heroinsüchtig sind.
Das sind langsame Todesarten, aber es gibt auch schnelle. Sobald 1992 die Schocktherapie gestartet worden war, begann die in Russland ohnehin hohe Selbstmordrate zu steigen: 1994, auf dem Höhepunkt von Jelzins ‘Reformen’, war sie fast doppelt so hoch wie acht Jahre zuvor. Die Russen brachten sich nun auch viel häufiger gegenseitig um: Die Zahl der Gewaltverbrechen hatte sich 1994 mehr als vervierfacht.
Ach ja, und die Korruption gab es tatsächlich – aber sie wurde vor allem von den westlichen Beratern und ökonomischen Glücksrittern ins Land gebracht. So mancher dieser jungen Ökonomen von den amerikanischen Eliteuniversitäten konnte sich über die Gründung fadenscheiniger Investmentbüros eine goldene Nase verdienen.
Der Unterschied zwischen Jelzin und Putin für Russland selbst war das Ende der Mafia-Herrschaft und der Verkauf Russlands, hauptsächlich an Amerikaner, und die Einführung einer eigenen Diktatur des derzeitigen Herrschers. Diese Diktatur ist jedoch für viele Russen ein Paradies, wenn sie sich an die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnern.
Ich habe noch nie gerne argumentiert, dass jemand, der viel Geld hat, automatisch schuldig ist. Allerdings würde ich gerne wissen, welchen „Job“ Putin gemacht hat, um seine Milliarden zu verdienen? Diese Frage sollte vielen Menschen gestellt werden, die Einfluss auf unser Leben auf der ganzen Welt nehmen möchten.
Autor des Artikels: Marek Wojcik